Celan


Filmpassagen für die Oper 'Celan' von Peter Ruzicka

Gesamtlänge: 45 Minuten Farbe und Schwarz/weiss
Super-16 und Digital Video

Uraufführung: 25.3.2001, Semperoper Dresden


Presse

'Celan' - Bis an das Ende aller Kunst

Die Kunst sei lang, die Kunst sei kurz, sie sei berserkerhaft in ihrem Anspruch
oder willig zu Diensten, schön oder hässlich, modisch oder tümelnd, habe ein
heisses Herz oder ein kaltes - gegen diese Gesichter kommt sie nicht an. Denn in
diesen Gesichtern steht alles geschrieben, was der Mensch sich jemals erdichten,
ermalen, ertanzen, erspielen oder ersingen konnte und was er jemals noch wird
dichten, komponieren, malen, tanzen, spielen oder singen können. Alles, restlos
alles. Das Grauen der Jahre bis 1945 - und das ganze Elend danach, die Schuld,
die Scham, das heillose Gedächtnis.

Panischer Schrecken erfasst die eisgrauen Mienen, Angst, Verzweiflung,
blankes Entsetzen. Karierte Taschentücher werden auf stumme Münder gepresst,
Hände vor erloschene Augen geschlagen. Dabei: Wie wohlgenährt, wie gut ge-
kleidet stolpern die Einwohner Buchenwalsds, von amerikanischen GI's sanft
gedrängt, hier an den Leichenbergen ihres ortsansässigen KZs vorbei. Als hätten
sie sich mit zittrigen Fingern in den allerfeinsten Buchenwalder Sonntagsstaat
geworfen an diesem 17. April 1945. Als könnte solch hilfloser Respekt vor den
Siegern noch irgendetwas bezeugen.

Nicht, dass der Welt diese Bilder bislang unbekannt gewesen wären. So
übergross und hautnah freilich, so radikal verlangsamt wie jetzt in der Dresdner
Semperoper waren sie noch nie zu sehen. Mit archäologischem Eros zoomen

sich Nicolas Humbert und Werner Penzel, die beiden kühnen Filmgestalter des
Abends, auf den Seelengrund jener Theatermenschen - und werden doch nie
zudringlich, wahren eine stilistische Contenance, einen Anstand im Abstand, der
keine vorlaute Frage stellt. Und wem in diesem Saal, in dieser Stadt, jagten die
Unschärfe der Dokumentaraufnahmen, das grobkörnige Raster, in das die Ge-
sichter zerfallen drohen, die mürben Ockertöne des Gewesenen keine Schauer
über den Rücken? Die Wahrheit, sagen Humbert & Penzel, ist sich selbst genug.
Man muss sie nur ganz genau und sehr lange betrachten. Bis sich alle Kunst
erübrigt.

Jede Musik, jegliches Musiktheater täte sich in dieser Situation schwer. Haben
Humbert & Penzel, haben Regisseur Claus Guth und sein ingeniöser Bühnen-
bildner Christian Schmidt der Uraufführung von Peter Ruzickas erster Oper
'Celan' also zu guter Letzt noch einen Bärendienst erwiesen? Auch die anderen
Bilder sind stark. Mal gleitet die Pariser Metro lautlos über das nüchtern leere
Appartement, welches die letzte Wohnung des Dichters Paul Celan gewesen
sein könnte, mal ziehen nachtschwarze Vogelschwärme darüber ihre Rätsel-
bahnen oder kräuseln sich die Wellen der Seine. Endlich einmal rechtfertigt sich
das Medium Film auf der Opernbühne - als Projektion einer gespenstischen
Überwirklichkeit, als Weltwahrnehmung eines traumatisierten Ichs ...

(Christine Lemke-Matwey, Der Tagesspiegel, 28.3.2001)

Weitere Aufführungsdaten:

1.9.01, 4.9.01, 9.9.01
28.2.02, 2.3.02, 23.3.02